Folgen des Insektenrückgangs für Landwirtschaft und Ernährung

Der dokumentierte Rückgang von Insektenpopulationen wirft eine Frage auf, die direkt unsere Ernährung betrifft: Was passiert, wenn immer weniger Insekten unterwegs sind? Diese Frage ist nicht theoretisch – sie betrifft uns alle.

Die Datenlage

Die Krefelder Studie hat zwischen 1989 und 2016 an über 60 Standorten in deutschen Naturschutzgebieten gemessen. Das Ergebnis: Die Fluginsekten-Biomasse ging um durchschnittlich 76,7 Prozent zurück. Im Hochsommer lag der Rückgang bei 81,6 Prozent. Diese Langzeituntersuchung wurde 2017 in PLOS ONE veröffentlicht.

Laut Roten Listen gelten 42 Prozent der bewerteten Insektenarten in Deutschland als bestandsgefährdet, extrem selten oder bereits ausgestorben.

Die Krefelder Studie hat allerdings methodische Grenzen – sie erfasst nur Fluginsekten mittels Biomasse-Messung. Eine 2023 in Nature publizierte Studie legt nahe, dass neben menschlichen Einflüssen auch Wetteranomalien und Klimawandel zum Rückgang beitragen. Das schließt aber andere Faktoren wie Pestizide nicht aus.

Bestäubung – wer ist betroffen?

Etwa 88 Prozent aller Wildpflanzen weltweit sind auf Insektenbestäubung angewiesen. Bei Nutzpflanzen liegt der Anteil bei etwa 76 Prozent der weltweit führenden Kulturen.

Stark abhängig:
Obstarten (Äpfel, Birnen, Kirschen, Erdbeeren, Himbeeren). Nüsse (Mandeln, Haselnüsse). Gemüse (Kürbisse, Zucchini, Gurken). Gewürze (Vanille). Ölpflanzen (Raps, Sonnenblumen).

Mäßig abhängig:
Kaffee, Kakao, Tomaten (bei Hummelbestäubung deutlich höherer Ertrag), Paprika.

Nicht abhängig:
Getreide (windbestäubt), Kartoffeln (vegetative Vermehrung), Erbsen und Bohnen (selbstbestäubend).

Eine US-Studie wertete über 200.000 Blütenbesuche aus. Bei 25 verschiedenen Kulturen und in 85 Prozent der untersuchten Länder zeigten sich Ertragsdefizite wegen unzureichender Bestäubung. Bei einem bis zwei Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe erreichen Felder nicht das gewünschte Ertragsniveau – zu wenige Bestäuber.

Nicht nur Bienen

Internationale Forschung zeigt: Zwischen 25 und 50 Prozent aller Blütenbesuche werden nicht durch Bienen erbracht. Schwebfliegen, Käfer, Schmetterlinge, Fliegen leisten wichtige Beiträge.

Wirtschaftliche Dimension

Französische und deutsche Wissenschaftler berechneten 2008, dass der ökonomische Wert der Insektenbestäubung im Jahr 2005 weltweit etwa 153 Milliarden Euro betrug. Das entspricht 9,5 Prozent der weltweiten Agrarproduktion für Lebensmittel.

Eine Simulationsstudie der Universität Hohenheim aus 2020 schätzt den volkswirtschaftlichen Nutzen von Bestäubern auf etwa eine Billion US-Dollar weltweit. Für Deutschland würde der Wegfall aller bestäubenden Insekten durchschnittlich rund 3,8 Milliarden Euro jährliche Verluste bedeuten.

Diese Berechnungen gehen von Worst-Case-Szenarien aus – einem kompletten Verschwinden. Ein teilweiser Rückgang hätte entsprechend geringere, aber dennoch erhebliche Folgen.

Auswirkungen auf den Feldern

Pflanzen mit unzureichender Bestäubung produzieren weniger Früchte, kleinere Früchte und Früchte mit veränderter Nährstoffzusammensetzung.

Eine Studie der Universität Göttingen an Erdbeeren zeigte: Insektenbestäubung führt zu wohlgeformten, schweren Früchten mit sortenspezifischerem Geschmack. Selbstbestäubung bringt deutlich geringere Erträge.

Bei Mandelbäumen in Kalifornien konnte der Ertrag durch Bienenbestäubung um 200 Prozent gesteigert werden. Handbestäubung war theoretisch möglich, führte aber zu sehr kleinen Früchten.

Erwartbare Entwicklungen:
Rückgang bei Obst- und Gemüseerträgen. Qualitätsminderungen. Preisanstiege für bestäubungsabhängige Produkte. Erhöhte Importabhängigkeit. Wirtschaftliche Belastungen für Obstbauern.

Indirekte Effekte

Weniger diskutiert, aber relevant: Viele Futterpflanzen für Nutztiere – insbesondere Klee und Luzerne – benötigen Insektenbestäubung für ihre Vermehrung. Ein Rückgang würde die Viehwirtschaft indirekt beeinträchtigen durch teurere Futtermittel.

Ernährungssicherheit

Getreide, Reis und Kartoffeln bilden die Basis der menschlichen Ernährung und sind nicht von Insektenbestäubung abhängig. Ein Zusammenbruch der Welternährung ist nicht zu erwarten.

Jedoch: Die Ernährungsvielfalt würde deutlich eingeschränkt. Obst und viele Gemüsesorten liefern wichtige Vitamine, Mineralstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe. Bei stark eingeschränktem Angebot würden diese Produkte für viele Menschen unerschwinglich. Insbesondere in ärmeren Ländern und Bevölkerungsschichten könnte dies zu Mangelernährung führen.

Manuelle Bestäubung

In Teilen Chinas werden Obstbäume bereits teilweise per Hand bestäubt, wo Bienenpopulationen durch Pestizide stark geschädigt wurden. Arbeiter übertragen mit Pinseln Pollen von Blüte zu Blüte.

Die praktischen Grenzen:
Ein Bienenvolk bestäubt bis zu 3 Millionen Blüten pro Tag. Ein Mensch schafft maximal einige Dutzend Bäume pro Tag. Kostenfaktor: 50-100 Euro pro Arbeitstag versus kostenlose Bienenarbeit.

Für hochwertige Spezialkulturen in kleinem Maßstab mag das lokal funktionieren – als flächendeckende Lösung ist es weder ökonomisch noch praktisch realistisch.

Technologie?

Bestäubungsdrohnen werden gelegentlich diskutiert. Die Realität zeigt aber erhebliche Limitierungen: hohe Anschaffungskosten (über 1.000 Euro pro Gerät), begrenzte Reichweite und Akkulaufzeit, geringe Effizienz, Wetterabhängigkeit, Wartungsaufwand.

Eine wirtschaftliche Umsetzung im großen Maßstab ist derzeit nicht absehbar.

Gentechnische Ansätze zur Entwicklung selbstbestäubender Pflanzen würden Jahre bis Jahrzehnte Forschung erfordern, funktionieren nicht bei allen Pflanzenarten und bergen das Risiko genetischer Verarmung.

Kaskadeneffekte

Insekten erfüllen weitere essenzielle Funktionen.

Nahrungskette: Etwa 60 Prozent der heimischen Vogelarten ernähren sich hauptsächlich von Insekten. Auch Fische, Amphibien, Fledermäuse und kleine Säugetiere sind auf Insekten angewiesen.

Zersetzung: Mistkäfer, Aaskäfer und Käferlarven zersetzen organisches Material. Diese Prozesse sind für Nährstoffkreisläufe und Bodengesundheit wichtig.

Schädlingskontrolle: Räuberische Insekten wie Marienkäfer, Laufkäfer und Schwebfliegenlarven regulieren Schädlingspopulationen natürlich.

Ursachen

Die Wissenschaft identifiziert mehrere Hauptfaktoren:

Landwirtschaft: Pestizideinsatz (insbesondere Neonicotinoide), Monokulturen, Verlust von Landschaftselementen (Hecken, Blühstreifen), intensive Düngung.

Lebensraumverlust: Flächenversiegelung, “Aufräumung” von Gärten, Entfernung von Totholz.

Weitere Faktoren: Lichtverschmutzung, Klimawandel, invasive Arten.

Diese Faktoren sind gut dokumentiert, ihre relative Bedeutung variiert aber regional.

Handlungsoptionen

Die Situation ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Insektenpopulationen können sich bei günstigen Bedingungen erholen.

Landwirtschaft: Anlage von Blühstreifen und Brachflächen. Reduzierung von Pestiziden. Förderung extensiver Bewirtschaftung. Erhalt von Strukturvielfalt.

Naturschutz: Schutz und Vernetzung von Lebensräumen. Erhalt alter Bäume und Totholz. Förderung artenreicher Wiesen.

Individuelle Beiträge: Insektenfreundliche Gartengestaltung. Verzicht auf Pestizide. Unterstützung biologisch wirtschaftender Betriebe.

Forschung: Systematisches Insektenmonitoring. Weitere Ursachenforschung. Entwicklung effektiver Schutzmaßnahmen.

Fazit

Der dokumentierte Rückgang von Insekten hat messbare Konsequenzen für die Landwirtschaft. Besonders betroffen wären Obst, Gemüse, Nüsse und andere bestäubungsabhängige Kulturen.

Die Grundversorgung mit Getreide, Kartoffeln und Reis wäre nicht gefährdet, jedoch würde die Ernährungsvielfalt deutlich eingeschränkt. Manuelle oder technologische Ersatzlösungen sind praktisch und wirtschaftlich nicht realistisch für großflächige Anwendung.

Die Ursachen sind weitgehend bekannt und größtenteils anthropogen bedingt. Die Herausforderung liegt in der konsequenten Umsetzung wirksamer Schutzmaßnahmen.

Eine sachliche Risikobewertung legt nahe, dass frühzeitiges Handeln sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll ist.

Quellen

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Uhler, J. et al. (2023): “Relationship of insect biomass and richness with land use”. Nature Communications 14, 5996.

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Rader, R. et al. (2016): “Non-bee insects are important contributors to global crop pollination”. PNAS 113(1).

Reilly, J. R. et al. (2020): “Crop production in the USA is frequently limited by a lack of pollinators”. Proc. Royal Society B 287.

Narjes, M. E. & Lippert, C. (2021): “Implications of low-pollinator populations”. Ecological Economics 189.

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Partap, U. & Ya, T. (2012): “The Human Pollinators of Fruit Crops in China”. Mountain Research and Development 32(2).

Potts, S. G. et al. (2010): “Global pollinator declines”. Trends in Ecology & Evolution 25(6).

Sánchez-Bayo, F. & Wyckhuys, K. A. G. (2019): “Worldwide decline of the entomofauna”. Biological Conservation 232.

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