Die Vielfalt der Blumen verstehen

Wer durch einen Garten oder über eine Wiese geht, begegnet einer schier endlosen Vielfalt an Blüten. Manche leuchten kräftig rot, andere schimmern zart. Einige duften süß, während andere geruchlos bleiben. Diese Unterschiede sind mehr als Dekoration – sie erzählen Geschichten von Anpassung und Zusammenarbeit zwischen Pflanzen und Bestäubern.

Grundbauplan der Blüten

Einkeimblättrige und Zweikeimblättrige

Die Pflanzenwelt teilt sich in zwei große Gruppen. Diese Unterscheidung klingt zwar akademisch, prägt aber fundamental, wie eine Blume aussieht.

Einkeimblättrige haben ihre Blütenorgane meist in Dreier- oder Sechsergruppen angeordnet. Tulpen, Lilien und Narzissen zeigen das deutlich – die Blütenblätter lassen sich durch drei oder sechs teilen. Ihre Blätter sind paralleladerig, unter der Erde findet sich oft eine Zwiebel oder Knolle. Gräser und Orchideen gehören ebenfalls dazu.

Zweikeimblättrige organisieren ihre Blüten dagegen meist in Vierer- oder Fünfergruppen. Eine wilde Rose hat klassischerweise fünf Blütenblätter, ebenso Butterblumen oder Apfelblüten. Die Blattadern verlaufen netzartig. Rosen, Sonnenblumen, Gänseblümchen – die meisten bekannten Gartenblumen fallen in diese Kategorie.

Symmetrie macht den Unterschied

Blüten können radiärsymmetrisch oder bilateral symmetrisch sein – das hat weitreichende Konsequenzen.

Radiärsymmetrische Blüten sehen aus wie Sterne oder Räder. Man kann sie durch mehrere Achsen spiegeln. Rosen, Butterblumen, Gänseblümchen gehören dazu. Der Vorteil: Bestäuber können von allen Seiten anfliegen. Diese Blüten sind für viele Insektenarten zugänglich.

Bilateral symmetrische Blüten haben nur eine Spiegelebene. Orchideen, Löwenmaul, Salbei und Veilchen zeigen diese Bauweise. Die Blüten zwingen Besucher zu einer bestimmten Anflugrichtung. Dadurch wird die Pollenübertragung effizienter – der Bestäuber landet exakt so, dass Pollen auf die richtige Stelle kommt.

Einige tropische Orchideen haben asymmetrische Blüten entwickelt – ohne jede Spiegelachse. Das ist aber selten.

Verwachsene oder freie Kronblätter

Manche Blüten präsentieren ihre Kronblätter einzeln. Rosen, Butterblumen, Mohnblumen – jedes Blütenblatt steht für sich. Solche Blüten wirken oft offen.

Andere haben ihre Kronblätter zu Röhren, Glocken oder Trichtern verschmolzen. Glockenblumen bilden hängende Glocken, Petunien formen Trichter, Fingerhut lange Röhren. Diese Bauweise richtet sich oft an spezialisierte Bestäuber mit langen Zungen oder Rüsseln.

Einfache, halbgefüllte und gefüllte Blüten

Hier wird es für Insekten wichtig.

Einfache Blüten zeigen ihre Staubblätter und Fruchtblätter offen. Wilde Rosen haben fünf Blütenblätter, in der Mitte thronen die goldgelben Staubgefäße. Nektar und Pollen sind leicht zugänglich.

Halbgefüllte Blüten sind ein Kompromiss. Züchter haben einige Staubblätter in zusätzliche Kronblätter verwandelt, aber nicht alle. Die Blüte sieht üppiger aus, ist für Insekten aber noch nutzbar.

Gefüllte Blüten haben alle Staubblätter verloren. Das Ergebnis sind prachtvolle, bauschige Blüten – gefüllte Rosen, Pfingstrosen, Dahlien. Für das Auge schön, für Insekten wertlos. Kein Pollen, kein Nektar.

Wer einen insektenfreundlichen Garten möchte, sollte gefüllte Blüten meiden.

Einzelblüten oder Blütenstände

Manche Pflanzen setzen auf große Einzelblüten. Tulpen, Mohnblumen, Pfingstrosen – jede Blüte ist ein weithin sichtbares Signal.

Andere bündeln viele kleine Blüten:

Trauben hängen wie bei Lupinen – viele gestielte Blüten entlang einer Achse.

Ähren haben Einzelblüten, die direkt am Stängel sitzen. Lavendel zeigt das gut.

Dolden sind schirmartig – alle Blütenstiele entspringen einem Punkt. Wilde Möhren und Bärlauch haben diese Struktur.

Körbchen sind raffiniert. Was wie eine einzelne Blüte aussieht, ist eine dichte Ansammlung winziger Blüten. Sonnenblumen, Gänseblümchen, Löwenzahn täuschen alle. In der Mitte sitzen Röhrenblüten, außen Zungenblüten, die wie Blütenblätter wirken.

Rispen sind verzweigt wie bei Flieder, Spirren sehen aus wie Dolden, entstehen aber durch unterschiedlich lange Verzweigungen.

Lebensdauer

Die Lebensdauer bestimmt, wie man Pflanzen im Garten einsetzt.

Einjährige keimen, wachsen, blühen, bilden Samen und sterben – alles in einer Vegetationsperiode. Ringelblumen, Sonnenblumen, Kornblumen, Mohn. Sie blühen oft monatelang, müssen aber jedes Jahr neu gesät werden.

Zweijährige brauchen Geduld. Im ersten Jahr bilden sie nur Blätter und Wurzeln, im zweiten Jahr kommen spektakuläre Blütenstände. Stockrosen, Fingerhut, Königskerze gehören dazu.

Mehrjährige kommen Jahr für Jahr wieder. Stauden wie Rittersporn oder Sonnenhut sterben oberirdisch ab, ihre Wurzeln überwintern. Halbsträucher wie Lavendel verholzen am Ansatz. Richtige Sträucher – Rosen, Flieder, Hortensien – verholzen komplett.

Zwiebel- und Knollenpflanzen wie Tulpen oder Dahlien haben unterirdische Speicherorgane.

Standortansprüche

Sonnenhungrige Arten brauchen mindestens sechs Stunden direkte Sonne. Lavendel, Sonnenhut, Mohn, Fetthenne lieben es hell. Ihre Farben leuchten oft intensiver.

Halbschattenliebhaber sind flexibel. Akelei, Storchschnabel, Astilbe tolerieren drei bis sechs Stunden Sonne, kommen aber auch mit mehr oder weniger klar.

Schattenpflanzen haben sich auf wenig Licht spezialisiert. Buschwindröschen, Leberblümchen, Bärlauch – viele sind Frühjahrsblüher, die ihre Chance nutzen, bevor die Bäume Blätter bekommen. Ihre Blüten sind oft hell, um im Dämmerlicht besser sichtbar zu sein.

Trockenheitsverträgliche Arten haben Anpassungen entwickelt: kleine, behaarte oder fleischige Blätter, tiefe Wurzeln. Lavendel, Fetthenne, Thymian stammen oft aus mediterranen Regionen.

Feuchtigkeitsliebende Pflanzen brauchen nasse Standorte. Sumpfdotterblume, Sumpf-Schwertlilie, Trollblume haben große Blätter und flache Wurzeln.

Blütezeit im Jahresverlauf

Frühjahrsblüher (Februar bis Mai) sind die Ersten. Schneeglöckchen, Krokusse, Winterlinge durchbrechen den gefrorenen Boden. Sie nutzen die Zeit vor dem Laubaustrieb. Viele haben Zwiebeln als Energiespeicher. Für frühe Hummeln und Wildbienen sind sie überlebenswichtig.

Sommerblüher (Juni bis August) dominieren die warme Jahreszeit. Rosen, Rittersporn, Lavendel, Sonnenhut – jetzt herrscht Hochbetrieb bei Blüten und Insekten.

Spätblüher (September bis Oktober) bieten die letzte Nahrung vor dem Winter. Astern, Chrysanthemen, Herbstanemonen, Fetthenne. Besonders wertvoll ist die späte Efeu-Blüte.

Dauerblüher wie Geranien oder Petunien bilden monatelang neue Blüten – meist Züchtungen, die auf maximale Blühfreudigkeit getrimmt wurden.

Wuchsform

Bodendecker (5–20 cm) wie Blaukissen oder Polsterphlox breiten sich flächig aus und unterdrücken Unkraut.

Niedrige Blumen (20–50 cm): Primeln, Veilchen, Vergissmeinnicht. Für Beetränder.

Mittelhohe Stauden (50–100 cm) – Rosen, Lavendel, Margeriten – bilden das Rückgrat vieler Beete.

Hohe Stauden (100–200 cm) wie Rittersporn, Stockrosen oder Lupinen setzen vertikale Akzente.

Giganten (über 200 cm): Sonnenblumen können drei Meter erreichen, Stockrosen ebenso.

Düfte

Intensiv duftende Blumen wie Rosen, Lavendel oder Flieder verströmen Duft tagsüber. Der Duft ist Lockstoff für Bestäuber.

Nachtblüher wie Nachtkerze oder Geißblatt öffnen sich abends und verströmen dann intensiven Duft – abgestimmt auf nachtaktive Falter.

Schwach duftende Blüten wie Veilchen oder Maiglöckchen setzen auf Zurückhaltung.

Geruchlose Blüten wie viele Tulpen oder Dahlien locken rein visuell. Züchter haben vielen modernen Sorten den Duft “weggezüchtet”.

Unangenehm riechende Blüten: Der Aronstab stinkt nach Aas, um Fliegen anzulocken. Was für uns abstoßend ist, ist für die Bestäuber unwiderstehlich.

Heimisch oder fremd

Heimische Wildblumen haben mit unseren Insekten über Jahrtausende eine gemeinsame Geschichte. Glockenblumen und Scherenbienen, Natternkopf und Natternkopf-Mauerbiene – oft hochspezialisierte Partnerschaften.

Mediterrane Pflanzen wie Lavendel oder Rosmarin bringen Urlaubsflair, brauchen aber Sonne und Wärme. Manche sind bei uns nur bedingt winterhart.

Exotische Zierpflanzen – Petunien, Geranien, Fuchsien – verschönern Gärten, haben aber meist keine Co-Evolution mit heimischen Insekten durchlaufen. Manche sind trotzdem nützlich, viele gefüllte Züchtungen aber ökologisch wertlos.

Problematische Neophyten wie Indisches Springkraut oder Riesen-Bärenklau wurden eingeschleppt und verdrängen heimische Arten. Der Riesen-Bärenklau verursacht sogar schmerzhafte Verbrennungen.

Fortpflanzungsstrategien

Die meisten Blumen setzen auf Fremdbestäubung durch Insekten. Das bringt genetische Vielfalt.

Manche Arten können sich auch selbst befruchten – praktisch, wenn keine Bestäuber da sind. Veilchen bilden sogar manchmal geschlossene Blüten, die sich selbst befruchten, ohne sich zu öffnen.

Windbestäubung nutzen vor allem Gräser – ihre Blüten sind unscheinbar, dafür produzieren sie Unmengen Pollen.

Zusätzlich vermehren sich viele Pflanzen vegetativ: durch Ausläufer, Brutzwiebeln, Rhizome oder Knollen.

Nektar und Pollen

Sehr nektarreiche Blüten wie Lavendel, Phacelia (“Bienenfreund”), Borretsch oder Natternkopf sind Schlaraffenländer für Insekten.

Mäßig nektarreiche Arten wie einfache Rosen, Sonnenblumen oder Astern bieten solide Nahrung.

Pollenreiche, aber nektararme Blüten wie Mohn oder Anemonen sind besonders für pollensammelnde Wildbienen wertvoll.

Nektarlose Blüten – alle gefüllten Züchtungen – sind für Insekten wertlos.

Besonderheiten

Fleischfressende Pflanzen wie Sonnentau haben Blüten, die weit über den Fangblättern thronen – damit die Bestäuber nicht selbst zur Beute werden.

Nachtblüher öffnen sich erst in der Dämmerung.

Blüten mit Bewegung: Salbei hat einen “Schlagbaum-Mechanismus” – wenn eine Hummel in die Blüte kriecht, schlägt ihr der Staubbeutel auf den Rücken.

Temperaturkünstler: Der Aronstab heizt sich auf bis zu 40 Grad auf, um den Aasgeruch zu verstärken.

Farbwechsler: Lungenkraut blüht erst rot, dann blau – ein Signal an Bestäuber über den Zustand der Blüte.

Praktische Tipps

Für Anfänger: Ringelblume, Sonnenblume, Kapuzinerkresse, Lavendel, Fetthenne – pflegeleicht und robust.

Für Fortgeschrittene: Rosen, Rittersporn, Pfingstrosen, Dahlien – anspruchsvoller in der Pflege.

Für Insekten wertvoll: Einfache Blüten, heimische Wildblumen, nektar- und pollenreich, gestaffelte Blütezeiten, verschiedene Blütenformen.

Für Insekten wertlos: Gefüllte Blüten, exotische Züchtungen ohne Nektar, eintönige Bepflanzung.


Blumen unterscheiden sich in unzähligen Aspekten. Jeder dieser Unterschiede ist das Ergebnis von Evolution und Anpassung.

Wer diese Vielfalt versteht, kann bewusster gärtnern: die richtige Pflanze am richtigen Ort, Nahrung für Insekten über die ganze Saison, ästhetische Kombinationen.

Hinter jeder Blüte steckt eine Geschichte von Kooperation und Überleben.

Quellen

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