Viele Menschen sind überrascht, wenn sie erfahren, wie viele Bienenarten es bei uns gibt. Die Antwort: etwa 604 Wildbienenarten in Deutschland. Und die wenigsten davon produzieren Honig oder leben in Völkern. Die meisten führen ein Leben als Einzelgängerinnen – still und oft unbemerkt.
Was Wildbienen unterscheidet
Wenn wir von Wildbienen sprechen, meinen wir alle Bienenarten außer der domestizierten Westlichen Honigbiene. Weltweit existieren über 20.000 Wildbienenarten, bei uns rund 604 nachgewiesene Spezies. Die Vielfalt ist beeindruckend: von winzigen Sand-Steppenbienen mit kaum vier Millimetern bis zur imposanten Blauen Holzbiene mit fast drei Zentimetern.
Der entscheidende Unterschied: Etwa 95 Prozent unserer Wildbienen leben solitär. Es gibt keine Königin, keine Arbeiterinnen, kein Volk. Jedes Weibchen ist für sich selbst verantwortlich. Einige wenige Arten wie die Hummeln bilden zwar einjährige Staaten, aber auch diese sind weit weniger komplex als Honigbienenvölker.
Wildbienen produzieren keinen Honig in nennenswertem Umfang. Ihre Lebenszyklen sind oft kurz – manche Arten fliegen nur vier bis sechs Wochen im Jahr. Viele Wildbienenarten sind hochspezialisierte Bestäuber für bestimmte Pflanzenarten. Diese Co-Evolution macht sie unersetzbar.
Das Leben einer solitären Wildbiene
Das Weibchen – beispielsweise die Rostrote Mauerbiene – erwacht im Frühjahr aus ihrem Kokon. Nach der Paarung beginnt sie sofort mit dem Nestbau. Ihre Lebenszeit ist begrenzt, meist nur vier bis acht Wochen.
Sie sucht einen geeigneten Nistplatz – einen hohlen Pflanzenstängel, einen Käferfraßgang im Totholz, eine Spalte in einer Mauer. Dort legt sie die erste Brutzelle an. Mit unermüdlichem Fleiß sammelt sie Pollen und Nektar, formt daraus ein „Pollenbrot”. Darauf setzt sie ein Ei. Die Zelle wird verschlossen, die nächste beginnt.
Die Larve schlüpft nach wenigen Tagen, ernährt sich vom Pollenbrot, verpuppt sich und überwintert im Kokon. Im nächsten Frühjahr schlüpft die fertige Biene – der Kreislauf beginnt von neuem.
Das Weibchen erlebt seine Nachkommen nie. Es stirbt, nachdem es sein Lebenswerk vollbracht hat.
Bodennister und Hohlraumbewohner
Etwa 75 Prozent der Wildbienen nisten im Boden. Sie graben Gänge in sandigen oder lehmigen Boden, oft in vegetationsarmen, sonnigen Bereichen. Manche Arten bilden Aggregationen – viele Nester dicht beieinander, obwohl jede Biene einzeln lebt.
Die übrigen 25 Prozent sind Hohlraumbewohner. Sie nutzen hohle Pflanzenstängel, Fraßgänge von Käfern in totem Holz, Ritzen in Mauern oder sogar verlassene Schneckenhäuser. Blattschneiderbienen schneiden kreisrunde Stücke aus Rosenblättern für ihre Brutzellen. Mörtelbienen bauen freistehende Nester aus Lehm.
Die Hummeln
Eine Ausnahme bilden die etwa 40 Hummelarten in Deutschland. Sie leben in einjährigen Staaten. Eine junge, begattete Königin überwintert allein, gründet im Frühjahr ein Nest und zieht die ersten Arbeiterinnen auf. Das Volk wächst je nach Art auf 50 bis 600 Tiere an. Im Spätsommer werden Jungköniginnen und Männchen produziert. Im Herbst stirbt das gesamte Volk bis auf die begatteten Jungköniginnen.
Hummeln können durch Muskelzittern Wärme erzeugen und fliegen bereits ab zwei Grad Celsius – während Honigbienen erst ab etwa zehn Grad aktiv werden. Das macht sie zu wichtigen Bestäubern im Frühjahr.
Bestäubungsleistung
Wildbienen wurden lange als Bestäuber unterschätzt. Inzwischen zeigen Studien: Sie sind mindestens ebenso wichtig wie Honigbienen, in vielen Bereichen sogar effektiver.
Eine Mauerbiene bestäubt so effektiv wie 80 bis 100 Honigbienen. Sie trägt zwar weniger Pollen am Körper, überträgt aber mehr davon auf die Narben. Viele Wildbienenarten arbeiten auch bei schlechtem Wetter.
Etwa 84 Prozent der in Europa angebauten Nutzpflanzen sind zumindest teilweise auf Insektenbestäubung angewiesen. Eine britische Studie zeigte: Honigbienen leisten nur etwa 25 Prozent der Bestäubung – der Rest entfällt auf Wildbienen und andere Insekten.
Manche Pflanzen können nur von bestimmten Wildbienen bestäubt werden. Ackerbohnen werden optimal von Hummeln bestäubt – Honigbienen sind zu leicht. Glockenblumen werden von spezialisierten Scherenbienen bestäubt. Tomaten benötigen „Vibrationsbestäubung” – Hummeln schütteln durch ihr Summen die Pollenkörner frei.
Der wirtschaftliche Wert der Insektenbestäubung wird weltweit auf etwa 153 Milliarden Euro jährlich geschätzt.
Die Situation
In Deutschland gelten etwa 50 Prozent der Wildbienenarten als bestandsgefährdet. Laut Roten Liste sind 31 Arten vom Aussterben bedroht, 197 gefährdet, 42 stehen auf der Vorwarnliste und 40 Arten sind bereits ausgestorben.
Eine Langzeitstudie der Ludwig-Maximilians-Universität München analysierte, welche Wildbienen besonders betroffen sind. Arten, die im Spätsommer auf dem Land Nahrung suchen, haben das höchste Aussterberisiko. Landwirtschaftlich intensiv genutzte Flächen sind im Spätsommer von Blüten ausgeräumt.
Das geringste Risiko haben früh fliegende Arten, die auch in Städten Nahrung finden. Dort blüht es im Frühjahr oft reichhaltiger als auf dem Land.
Ursachen
Lebensraumverlust: Intensivierung der Landwirtschaft hat artenreiche Blühwiesen verschwinden lassen. Monokulturen bieten weder Nahrung noch Nistmöglichkeiten. „Aufgeräumte” Gärten ohne Wildkräuter, Totholz oder offene Bodenstellen sind ökologische Wüsten.
Pestizide: Insektizide töten Wildbienen direkt. Herbizide vernichten Wildkräuter. Besonders Neonicotinoide schädigen das Nervensystem.
Nahrungsmangel: Viele Wildbienenarten sind auf bestimmte Pflanzenfamilien spezialisiert. Verschwindet die Pflanze, stirbt die Wildbienenart aus.
Stickstoffbelastung: Überschüssiger Stickstoff fördert nährstoffliebende Pflanzen und verdrängt Spezialisten.
Konkurrenz durch Honigbienen: In urbanen Gebieten steigt die Dichte von Honigbienenvölkern teilweise stark an. Eine Metastudie, die 216 Einzelstudien auswertete, zeigt: Honigbienen können in Naturschutzgebieten Wildbienen verdrängen. Hamburg lehnt daher seit 2023 das Aufstellen von Bienenstöcken in Naturschutzgebieten ab.
Klimawandel: Verschiebung von Blühzeiten und Extremwetter stören die Synchronisation zwischen Biene und Pflanze.
Was hilft
Im Garten:
Nahrungsangebot: Heimische Wildpflanzen mit ungefüllten Blüten von März bis Oktober. Frühjahr: Krokusse, Weiden, Obstbäume. Sommer: Natternkopf, Glockenblumen, Klatschmohn, Witwenblumen. Spätsommer: Fetthenne, Astern, Efeu. Kräuter blühen lassen: Thymian, Oregano, Salbei, Lavendel. Wildblumenwiese statt Rasen.
Nistmöglichkeiten: Insektenhotels mit sauberen Bambusröhrchen oder Schilf (3 bis 10 Millimeter Durchmesser, glatte Schnitte ohne Splitter). Totholz stehen und liegen lassen. Offene, sandige Bodenstellen anlegen. Pflanzenstängel über Winter stehen lassen.
Was vermeiden: Keine Pestizide, kein Torf, keine zu häufige Mahd. Laubsauger zerstören Überwinterungsplätze. Keine gefüllten Blüten.
Häufige Fehler bei Insektenhotels:
Bohrungen ins Stirnholz (es entstehen Risse). Unsaubere Löcher. Zapfen und Stroh (werden kaum genutzt). Zu kurze Röhren. Standort im Schatten.
Richtig:
Bohrungen ins Längsholz von Hartholz. Glatte, splitterfreie Eingänge. Röhren 10 bis 20 Zentimeter tief. Überdachung gegen Regen. Sonniger Standort.
In der Landschaft: Initiativen für Blühstreifen unterstützen. Biologisch erzeugte Produkte kaufen.
Bekannte Arten
Rostrote Mauerbiene (Osmia bicornis): 10 bis 14 Millimeter, rostrot behaart. Frühe Art (März bis Juni), sehr häufig in Nisthilfen. Hervorragender Obstbaumbestäuber.
Gehörnte Mauerbiene (Osmia cornuta): 12 bis 15 Millimeter. Ebenfalls häufig in Insektenhotels.
Blaue Holzbiene (Xylocopa violacea): 23 bis 28 Millimeter – unsere größte heimische Wildbienenart. Schwarz mit bläulich schimmernden Flügeln. Nistet in totem Holz. Breitet sich durch den Klimawandel nach Norden aus.
Frühlings-Pelzbiene (Anthophora plumipes): 14 bis 16 Millimeter, dunkel mit pelziger Behaarung. Sehr schneller Flug. Männchen mit auffälligen „Federbüscheln”.
Garten-Blattschneiderbiene (Megachile willughbiella): 10 bis 13 Millimeter. Schneidet kreisrunde Stücke aus Rosenblättern.
Ackerhummel (Bombus pascuorum): 15 bis 18 Millimeter, bräunlich-rot behaart. Sehr häufig, lange Flugzeit von April bis Oktober.
Sandbienen (Gattung Andrena): Über 100 Arten bei uns, 5 bis 16 Millimeter. Bodennister in sandigem Substrat.
Beobachten
Wildbienen zu beobachten ist einfach und bereichernd. Sie sind friedlich und können aus nächster Nähe betrachtet werden. Die meisten Arten können kaum stechen.
Beste Orte: Blühende Wiesen und Gärten, Totholz, sandige Wegränder, Lehmwände.
Beste Zeit: März bis Juni, sonnige und warme Tage, vormittags und mittags.
Wildbienenschutz ist kein Hexenwerk. Eine wilde Ecke im Garten, ein Insektenhotel mit sauberen Röhrchen, heimische Blumen – all das hilft.
Wildbienen sind stille Heldinnen. Sie arbeiten ohne Aufhebens. Gerade deshalb sind sie so verletzlich. Ihr Rückgang ist alarmierend, aber nicht unumkehrbar.
Eine Welt ohne Wildbienen wäre nicht nur ärmer an Artenvielfalt, sondern auch an Ernährungssicherheit.
Quellen
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Fortel, L. et al. (2019): “Trait-matching and mass effect determine the functional response of wild bee communities”. Proc. Royal Society B 286.
Hallmann, C. A. et al. (2017): “More than 75 percent decline in total flying insect biomass”. PLOS ONE 12(10).
Klein, A.-M. et al. (2007): “Importance of pollinators in changing landscapes”. Proc. Royal Society B 274.
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Rader, R. et al. (2016): “Non-bee insects are important contributors to global crop pollination”. PNAS 113(1).
Valido, A. et al. (2019): “Honeybees disrupt the structure and functionality of plant-pollinator networks”. Scientific Reports 9, 4711.
Burger, R. (2022): Wildbienen first. Ulmer Verlag.
Westrich, P. (2018): Die Wildbienen Deutschlands. Ulmer Verlag.
Bellmann, H. (2016): Bienen, Wespen, Ameisen. Franckh-Kosmos Verlag.
Potts, S. G. et al. (2010): “Global pollinator declines”. Trends in Ecology & Evolution 25(6).
