Wer einem Tagpfauenauge beim Nektartrinken zuschaut, versteht, warum Schmetterlinge Menschen seit jeher faszinieren. Diese zarten Geschöpfe mit ihren bunten Flügeln erzählen Geschichten von Verwandlung und Anpassung – und zunehmend auch von Verletzlichkeit.
Schuppenflügler
Der wissenschaftliche Name Lepidoptera kommt aus dem Griechischen: „lepis” für Schuppe und „pteron” für Flügel. Die Flügel sind mit Millionen winziger Schuppen bedeckt, die wie Dachziegel übereinander liegen. Jede Schuppe trägt entweder Farbpigmente oder erzeugt durch ihre Struktur schillernde Lichteffekte.
Weltweit kennen wir etwa 160.000 Schmetterlingsarten. In Deutschland leben rund 3.700 Arten, wobei nur etwa 190 davon Tagfalter sind. Der weitaus größere Teil – über 3.500 Arten – sind Nachtfalter.
Der Körperbau folgt dem klassischen Insektenmuster: Kopf, Brust, Hinterleib. Am Kopf sitzen große Facettenaugen mit hervorragendem Farbsehen sowie die charakteristischen Fühler. Mit dem langen, aufrollbaren Saugrüssel können Schmetterlinge Nektar aus Blüten saugen.
Die Metamorphose
Schmetterlinge durchlaufen eine vollständige Verwandlung mit vier völlig unterschiedlichen Lebensstadien.
Ei: Weibchen legen ihre Eier gezielt auf oder nahe der Nahrungspflanze ihrer Raupen. Diese Wirtsspezifität ist oft extrem ausgeprägt – manche Raupen akzeptieren nur eine einzige Pflanzenart. Die Eier sind meist nur 0,5 bis 2 Millimeter groß.
Raupe: Ihre Lebensaufgabe besteht darin, zu fressen und zu wachsen. Da die Raupenhaut nicht mitwächst, muss sie sich mehrmals häuten – meist vier- bis fünfmal. Manche Raupen können ihr Körpergewicht um das Tausendfache steigern.
Puppe: Wenn die Raupe ausgewachsen ist, verpuppt sie sich. Tagfalter bilden oft freihängende Puppen, Nachtfalter spinnen sich in Kokons ein. In diesem Stadium geschieht Erstaunliches: Die Raupe löst sich fast vollständig auf, aus dieser “Zellsuppe” formt sich der fertige Falter neu.
Falter: Das geschlechtsreife Stadium hat zwei Hauptaufgaben: Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme. Die Lebensdauer variiert stark – von wenigen Tagen bis zu fast einem Jahr beim Zitronenfalter.
Diese Aufspaltung in verschiedene Lebensstadien hat einen Vorteil: Raupe und Falter nutzen unterschiedliche ökologische Nischen und konkurrieren nicht um dieselbe Nahrung.
Tagfalter und Nachtfalter
Tagfalter fallen uns auf, weil sie tagsüber fliegen und oft leuchtende Farben tragen. Ihre Fühler enden in kleinen Keulen. In Ruhestellung klappen sie ihre Flügel meist senkrecht zusammen.
Nachtfalter führen ein Leben im Verborgenen. Die meisten sind nachtaktiv, wobei es Ausnahmen gibt – das Taubenschwänzchen fliegt tagaktiv und wird oft mit einem Kolibri verwechselt. Ihre Färbung ist häufig unauffälliger, die Fühler sind gefiedert oder fadenförmig.
Beide Gruppen erfüllen wichtige ökologische Funktionen – Nachtfalter bestäuben beispielsweise nachtblühende Pflanzen.
Bekannte Arten
Tagpfauenauge (Aglais io): Die vier großen Augenflecken sind unverwechselbar und dienen der Abschreckung. Die Raupen leben auf Brennnesseln. Das Tagpfauenauge überwintert als Falter in Schuppen oder Dachböden.
Admiral (Vanessa atalanta): Schwarz mit leuchtend roten Binden – ein eleganter Wanderfalter aus dem Mittelmeerraum. Die Raupen entwickeln sich auf Brennnesseln.
Zitronenfalter (Gonepteryx rhamni): Die Männchen leuchten zitronengelb, die Weibchen sind grünlich-weiß. Diese Art kann als Falter bis zu zwölf Monate alt werden. Zitronenfalter überwintern frei und produzieren dabei eine Art körpereigenes Frostschutzmittel.
Kleiner Fuchs (Aglais urticae): Orange-braun mit schwarzen und blauen Flecken. Früher sehr häufig, in den letzten Jahren deutlich seltener geworden.
Schwalbenschwanz (Papilio machaon): Mit bis zu acht Zentimetern Flügelspannweite unser größter heimischer Tagfalter. Die gelb-schwarze Färbung mit blauen Flecken und den charakteristischen „Schwänzchen” macht ihn unverwechselbar.
Kohlweißling (Pieris brassicae): Weiß mit schwarzen Flügelspitzen, sehr häufig. Trotz seines Rufs als “Schädling” ist er als Bestäuber wertvoll.
C-Falter (Polygonia c-album): Orangebraun mit stark gezackten Flügelrändern. Die Unterseite trägt eine weiße, C-förmige Zeichnung – perfekte Tarnung als welkes Blatt.
Taubenschwänzchen (Macroglossum stellatarum): Eigentlich ein Nachtfalter, aber tagaktiv. Fliegt im rasanten Schwirrflug vor Blüten – ähnlich einem Kolibri.
Ökologische Bedeutung
Bestäubung: Schmetterlinge übertragen Pollen zwischen Blüten. Besonders für Blüten mit tiefen Kelchen sind die langen Rüssel ideal.
Nahrung: Raupen sind proteinreiche Nahrung, besonders für Jungvögel. Auch Falter, Eier und Puppen werden von Vögeln, Fledermäusen und Spinnen gefressen.
Bioindikatoren: Schmetterlinge reagieren empfindlich auf Umweltveränderungen. Ihr Rückgang zeigt an, dass etwas im Ökosystem nicht stimmt.
Der Rückgang
Die Zahlen sind eindeutig.
Eine Langzeitstudie in einem Gebiet bei Regensburg dokumentiert die Entwicklung über 200 Jahre. Zwischen 1840 und 1880 wurden dort durchschnittlich 117 Tagfalterarten gezählt. Im Jahr 2013 waren es nur noch 71 Arten – ein Rückgang von fast 40 Prozent.
Laut Roter Liste gelten 42 Prozent der bewerteten Arten als ausgestorben oder bestandsgefährdet, weitere elf Prozent stehen auf der Vorwarnliste.
In den Niederlanden verschwanden seit 1890 mindestens 84 Prozent aller Schmetterlinge. Eine Langzeitstudie in Niederbayern zeigt: Zwischen 1969 und 1983 wurden noch durchschnittlich 250 Schmetterlingsarten pro Jahr gezählt. Seit 1995 sind es weniger als 50 Arten – ein Rückgang um 80 Prozent.
Ursachen
Lebensraumverlust: Intensivierung der Landwirtschaft hat artenreiche Blumenwiesen verschwinden lassen. Monokulturen bieten weder Raupen Nahrung noch Faltern Nektar.
Pestizide: Insektizide töten Schmetterlinge – Raupen und Falter. Herbizide vernichten Wildkräuter, die viele Raupen als Futterpflanzen brauchen.
Mangel an Futterpflanzen: Viele Arten sind hochspezialisiert. Verschwindet ihre Wirtspflanze, verschwindet auch der Schmetterling.
Stickstoffbelastung: Überschüssiger Stickstoff fördert nährstoffliebende Pflanzen und verdrängt Spezialisten nährstoffarmer Standorte.
Lichtverschmutzung: Nachtfalter werden von künstlichem Licht angelockt, kreisen erschöpft um Lampen, verenden oder werden Beute.
Klimawandel: Verschiebungen von Blühzeiten und Extremwetter setzen Schmetterlingen zu.
Was hilft
Im Garten:
Nektarpflanzen von Frühjahr bis Herbst: Schmetterlingsflieder, Fetthenne, Lavendel, Oregano, Phlox, Astern.
Raupenfutterpflanzen: Eine Ecke mit Brennnesseln. Viele unserer schönsten Tagfalter entwickeln sich auf Brennnesseln. Fenchel, Möhren und Dill für den Schwalbenschwanz. Faulbaum und Kreuzdorn für den Zitronenfalter.
Wildblumenwiese: Statt Rasen eine artenreiche Wiese. Nicht ständig mähen.
Keine Pestizide.
Überwinterungshilfen: Laubhaufen, Totholz, hohle Stängel. Staudenschnitt erst im Frühjahr.
Nachtblühende Pflanzen: Nachtkerze und Ziertabak locken Nachtfalter.
Auf dem Balkon: Blumenkästen mit schmetterlingsfreundlichen Pflanzen, blühende Kräuter, eine flache Wasserschale.
In der Landschaft: Initiativen für Blühstreifen unterstützen. Biologisch erzeugte Produkte kaufen.
Monitoring: Citizen-Science-Projekte wie das Tagfalter-Monitoring unterstützen.
Anpassungen
Manche Arten tarnen sich perfekt als welkes Blatt. Andere warnen mit grellen Farben vor Giftigkeit. Das Tagpfauenauge erschreckt mit seinen Augenflecken.
Wanderungen: Der Distelfalter fliegt von Afrika bis Skandinavien – bis zu 15.000 Kilometer. Der Admiral wandert im Herbst zurück in den Süden.
Sinnesleistungen: Schmetterlinge sehen UV-Licht. Viele Blüten zeigen UV-Muster als Landebahn. Männchen können Weibchen über Pheromone kilometerweit riechen.
Beobachten
Die beste Zeit sind warme, sonnige Tage von Mai bis September. Blütenreiche Wiesen, Waldränder, naturnahe Gärten bieten die besten Chancen.
Morgens sind Schmetterlinge noch träge, mittags am aktivsten. Bestimmungsbücher oder Apps helfen bei der Artbestimmung.
Für Fotos eignen sich frühe Morgenstunden oder Beobachtungen bei der Nektarsuche. Bitte nicht fangen oder stören.
Schmetterlinge sind Sympathieträger, die uns den Zugang zur Welt der Insekten eröffnen. Ihr dramatischer Rückgang ist ein Warnsignal. Aber es ist noch nicht zu spät. Mit einfachen Mitteln – einer wilden Gartenecke, dem Verzicht auf Pestizide – können wir Lebensräume schaffen.
Eine Welt ohne Schmetterlinge wäre nicht nur farbloser, sondern auch ärmer an biologischer Vielfalt.
Quellen
Habel, J. C. et al. (2016): “Butterfly community shifts over 2 centuries”. Conservation Biology 30(4).
Hallmann, C. A. et al. (2017): “More than 75 percent decline in total flying insect biomass”. PLOS ONE 12(10).
Van Swaay, C. et al. (2016): “The European Butterfly Indicator for Grassland species 1990-2015”.
Seibold, S. et al. (2019): “Arthropod decline in grasslands and forests”. Nature 574.
Reinhardt, R. & Bolz, R. (2011): “Rote Liste der Tagfalter Deutschlands”. Naturschutz und Biologische Vielfalt 70(3).
Habel, J. C. & Schmitt, T. (2018): “Vanishing of the common species”. Biological Conservation 218.
Settele, J. et al. (2015): Schmetterlinge – Die Tagfalter Deutschlands. Ulmer Verlag.
Bellmann, H. (2016): Der Kosmos Schmetterlingsführer. Franckh-Kosmos Verlag.
Potts, S. G. et al. (2010): “Global pollinator declines”. Trends in Ecology & Evolution 25(6).
Reichholf, J. H. (2018): Schmetterlinge – Warum sie verschwinden. Hanser Verlag.
