Jedes vierte Tier auf diesem Planeten ist ein Käfer. Diese Zahl ist nicht übertrieben – Käfer sind tatsächlich die erfolgreichste Tiergruppe der Erde. Von winzigen Federflüglern, die man mit bloßem Auge kaum erkennt, bis zu handtellergroßen Exemplaren. Manche schillern in Regenbogenfarben, andere tarnen sich perfekt als Rindenstückchen. Sie haben praktisch jeden Lebensraum erobert – mit Ausnahme der Antarktis und des offenen Meeres.
Coleoptera – Scheide-Flügler
Der wissenschaftliche Name kommt aus dem Griechischen und bezieht sich auf das charakteristischste Merkmal: die verhärteten Vorderflügel, die wie eine Scheide über den Hinterflügeln liegen. Weltweit sind etwa 400.000 Käferarten beschrieben. Das ist die größte Ordnung im gesamten Tierreich.
In Deutschland leben rund 7.000 verschiedene Käferarten – ungefähr die Hälfte aller heimischen Insekten. Die Größenunterschiede sind dabei enorm. Vom mikroskopisch kleinen Federflügler mit nur einem halben Millimeter bis zum imposanten Hirschkäfer mit sieben Zentimetern Körperlänge.
Der britische Biologe J.B.S. Haldane soll einmal gesagt haben, als man ihn nach der Natur des Schöpfers fragte, dieser müsse wohl eine “übermäßige Vorliebe für Käfer” haben. Bei über 400.000 Arten weltweit ist das durchaus nachvollziehbar.
Anatomie eines Käfers
Der Grundaufbau folgt dem klassischen Insektenmuster: Kopf, Brust, Hinterleib. Aber die Details machen den Unterschied.
Am Kopf sitzen zwei Facettenaugen, die aus tausenden Einzelaugen bestehen. Die Fühler variieren je nach Art erheblich – von fadenförmig über geblättert bis zu gekämmt wie kleine Federbüsche. Die Mundwerkzeuge sind meist kräftige Kauwerkzeuge mit beeindruckenden Kiefern.
Die Brust trägt sechs Beine und zwei Flügelpaare. Die Beine sind oft spezialisiert: Laufkäfer haben lange Rennbeine für die Jagd, Wasserkäfer breite Ruderbeine, Mistkäfer kräftige Grabbeine.
Der Hinterleib enthält die Verdauungs- und Fortpflanzungsorgane. Von oben ist er meist nicht sichtbar, da ihn die Flügeldecken komplett verdecken – das macht Käfer so kompakt.
Die Flügel – ein evolutionäres Meisterwerk
Das wirklich Besondere: Käfer haben ihre Vorderflügel zu harten Flügeldecken (Elytren) umgebaut. Diese treffen sich auf dem Rücken in einer geraden Naht und bilden einen Panzer. Darunter liegen die eigentlichen Flugflügel – dünn, häutig und kunstvoll gefaltet.
Beim Fliegen klappt der Käfer die Flügeldecken zur Seite, entfaltet die Hinterflügel und hebt ab. Der Flug wirkt oft schwerfällig und brummend, manche Arten haben aber erstaunliche Flugleistungen entwickelt. Marienkäfer beispielsweise sind wendige Flieger. Andere Arten haben das Fliegen komplett aufgegeben und ihre Hinterflügel zurückgebildet.
Metamorphose – Vom Ei zum Käfer
Käfer durchlaufen eine vollständige Verwandlung mit vier deutlich unterscheidbaren Stadien.
Ei: Die Weibchen legen ihre Eier meist direkt an der späteren Nahrungsquelle der Larven ab – in Holz, an Blättern, im Boden oder an Kadavern. Je nach Art können das zehn bis über tausend Eier sein. Nach ein bis vier Wochen schlüpfen die Larven.
Larve: Hier zeigt sich die enorme Vielfalt. Käferlarven sehen völlig unterschiedlich aus, abhängig von ihrer Lebensweise.
Campodeiforme Larven sind langgestreckt und beweglich mit gut entwickelten Beinen – typisch für Laufkäferlarven. Eruciforme Larven erinnern an Schmetterlingsraupen, weich und mit Beinen. Scarabaeiforme Larven sind die bekannten “Engerlinge” – dick, gekrümmt, cremefarben. So entwickeln sich Maikäfer und Rosenkäfer. Apode Larven sind beinlose Maden wie bei Rüsselkäfern.
Die Larvenphase ist oft der längste Lebensabschnitt. Während Marienkäferlarven nach wenigen Wochen fertig sind, verbringen Hirschkäferlarven unglaubliche fünf bis acht Jahre im morschen Holz. Manche Bockkäferlarven entwickeln sich sogar über ein Jahrzehnt. In dieser Zeit fressen sie kontinuierlich, wachsen und häuten sich mehrmals.
Puppe: Irgendwann verpuppt sich die Larve in einer geschützten Kammer – im Boden, in Holz oder an Pflanzen. Ein bis vier Wochen dauert die Umwandlung. Ohne Nahrungsaufnahme wird aus der Larve der fertige Käfer.
Imago: Der erwachsene Käfer. Die Lebensdauer variiert stark. Glühwürmchen leben als Käfer nur wenige Wochen, die meisten Arten mehrere Monate. Einige Aaskäfer können sogar drei bis vier Jahre erreichen.
Ernährungsstrategien
Käfer haben sich auf praktisch jede erdenkliche Nahrungsquelle spezialisiert.
Pflanzenfresser
Blattfresser wie der Kartoffelkäfer, viele Blattkäfer und Rüsselkäfer ernähren sich von frischem Grün. Sie können in Massen zum Problem werden, sind aber auch wichtige Nahrung für andere Tiere.
Holzfresser verbringen ihr Larvenleben im Holz. Bockkäfer- und Prachtkäferlarven bohren sich jahrelang durch totes oder lebendes Holz. Sie spielen eine zentrale Rolle beim Abbau toter Bäume. Ohne sie würden unsere Wälder in umgestürzten Stämmen ersticken.
Pollenfresser wie Rosenkäfer und Glanzkäfer sind wichtige Bestäuber. Sie werden oft unterschätzt, weil Bienen mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Räuber und Aasfresser
Räuberische Käfer sind effiziente Jäger. Laufkäfer jagen nachts Schnecken, Insekten und Würmer. Marienkäfer – sowohl die Käfer als auch ihre Larven – vertilgen massenhaft Blattläuse. Ein einzelner Siebenpunkt-Marienkäfer frisst in seinem Leben etwa 5.000 Blattläuse. Kurzflügler jagen ebenfalls andere Kleintiere.
Aasfresser sind die Aufräumer. Aaskäfer und Speckkäfer machen sich über Kadaver her. Besonders interessant sind die Totengräber: Diese schwarz-orange gemusterten Käfer begraben tatsächlich kleine Tierkadaver. Sie graben unter dem Kadaver, bis dieser in der Erde verschwindet. Dort legen sie ihre Eier ab und die Larven haben einen gedeckten Tisch. Manche Totengräberarten zeigen sogar Brutpflege – bei Insekten eine Seltenheit.
Spezialisten
Kotfresser wie Mistkäfer und Pillendreher beseitigen Tierdung und lockern dabei den Boden. Pillendreher rollen Dungkugeln, die größer sind als sie selbst – ein beeindruckender Anblick. Diese Käfer sind ökologisch so wichtig, dass man sie in Australien gezielt eingeführt hat, um mit den Unmengen an Rinderdung fertig zu werden.
Pilzfresser leben in und von Pilzen. Baumschwammkäfer und viele Schnellkäferlarven haben sich darauf spezialisiert.
Dann gibt es noch die wirklich merkwürdigen Spezialisten: Ölkäferlarven parasitieren an Wildbienen. Feuerkäferlarven jagen in leeren Schneckenhäusern. Wasserkäfer haben ein komplett aquatisches Leben entwickelt und atmen mit einer Luftblase unter ihren Flügeldecken.
Wichtige Familien
Bei 7.000 Arten in Deutschland kann man unmöglich alle behandeln. Aber einige Familien sollte man kennen.
Laufkäfer (Carabidae) sind schnelle Räuber mit etwa 550 Arten in Deutschland. Meist nachtaktiv, mit großen Augen und langen Beinen. Der schillernde Goldlaufkäfer gehört zu den schönsten. Der Bombardierkäfer verfügt über eine spektakuläre Verteidigungswaffe: Er kann ein kochendes, ätzendes Gemisch versprühen – chemische Kriegsführung im Miniformat.
Marienkäfer (Coccinellidae) sind Sympathieträger mit etwa 70 deutschen Arten. Die Punktzahl hat übrigens nichts mit dem Alter zu tun, sondern ist ein Artmerkmal. Als Blattlausjäger sind sie in jedem Garten willkommen. Der eingeschleppte Asiatische Marienkäfer verdrängt allerdings zunehmend unsere heimischen Arten.
Rüsselkäfer (Curculionidae) sind die artenreichste Käferfamilie überhaupt – über 60.000 Arten weltweit, bei uns fast 1.000. Ihr Markenzeichen ist der charakteristische “Rüssel”, eigentlich ein verlängerter Kopf. Damit bohren sie Löcher in Pflanzen, um Eier abzulegen. Viele sind hochspezialisiert auf bestimmte Wirtspflanzen.
Bockkäfer (Cerambycidae) erkennt man an den extrem langen Fühlern – oft länger als der ganze Körper. Etwa 200 Arten leben in Deutschland. Ihre Larven entwickeln sich im Holz. Der Hausbock kann in verbautem Holz zum Problem werden, während die meisten anderen Arten im Wald wichtige Zersetzer sind.
Hirschkäfer (Lucanidae) sind mit bis zu 7,5 Zentimetern unsere größten heimischen Käfer. Die Männchen tragen geweihähnliche Oberkiefer, mit denen sie um Weibchen kämpfen. Ihre Larven leben fünf bis acht Jahre in morschem Holz. Heute sind sie stark gefährdet und streng geschützt.
Glühwürmchen (Lampyridae) erzeugen an warmen Sommerabenden ihr charakteristisches grünliches Leuchten. Drei Arten leben bei uns. Sie produzieren kaltes Licht durch Biolumineszenz – mit einer Effizienz von bis zu 95 Prozent, weit besser als jede LED.
Besondere Fähigkeiten
Biolumineszenz: Das Licht der Glühwürmchen entsteht durch eine chemische Reaktion. Eine Substanz namens Luciferin reagiert mit Sauerstoff unter Mithilfe des Enzyms Luciferase. Das Ergebnis ist kaltes Licht mit minimaler Wärmeentwicklung. Die Effizienz ist bemerkenswert – fast die gesamte Energie wird in Licht umgewandelt.
Chemische Verteidigung: Ölkäfer sondern das Gift Cantharidin ab – Hautkontakt ist extrem schmerzhaft und führt zu Blasen. Der Bombardierkäfer mischt in seinem Hinterleib zwei Chemikalien, die explosionsartig reagieren. Er kann diese Abwehrwaffe 500 Mal hintereinander einsetzen. Marienkäfer nutzen “Reflexbluten” – sie sondern bei Gefahr bitteres, giftiges Sekret aus ihren Beingelenken ab.
Extreme Leistungen: Ein Nashornkäfer kann das 850-fache seines Körpergewichts tragen. Mistkäfer, die Dungkugeln rollen, schaffen sogar das 1.141-fache. Wasserkäfer können bis zu 40 Minuten unter Wasser bleiben. Wüstenkäfer überleben Temperaturen über 50°C, manche Arten ertragen -40°C.
Navigation: Afrikanische Pillendreher orientieren sich nachts an der Milchstraße – die einzigen bekannten Insekten, die zur Navigation Sterne nutzen.
Käfer und Mensch
Nützlinge
Marienkäfer werden kommerziell gezüchtet und gegen Blattläuse eingesetzt. Laufkäfer dezimieren Schneckenpopulationen und Schadinsekten. Aaskäfer beseitigen Kadaver, Mistkäfer beseitigen Dung, Holzkäfer zersetzen Totholz. Ohne diese Zersetzer würden Nährstoffkreisläufe zusammenbrechen.
Schädlinge
Der Borkenkäfer macht derzeit Schlagzeilen durch Massenvermehrungen in geschädigten Fichtenwäldern. Der Kartoffelkäfer war früher eine echte Plage. Hausbock und “Holzwurm” fressen sich durch verbautes Holz.
Wichtig ist: Viele dieser “Schädlinge” sind nur in Monokulturen oder bei Massenvermehrung problematisch. In natürlichen Ökosystemen bleiben sie unauffällig und erfüllen ihre ökologische Rolle.
Gefährdung
Etwa 40 Prozent der Käferarten in Deutschland sind gefährdet. Die Hauptursachen: Verlust von Totholz durch “Aufräumen” in Wäldern, Versiegelung von Flächen, intensive Landwirtschaft, Pestizide, Lichtverschmutzung, Klimawandel.
Besonders bedroht sind Arten, die auf alte Strukturen angewiesen sind: Hirschkäfer brauchen morsches Holz, der Eremit alte Bäume mit Mulmhöhlen, viele Laufkäferarten verschwinden aus der Agrarlandschaft, Wasserkäfer leiden unter Gewässerverschmutzung.
Was hilft
Im Garten: Totholz liegen lassen – Totholzhaufen, alte Baumstümpfe. Laub unter Hecken liegen lassen. Keine Pestizide verwenden. Heimische Pflanzen setzen. Steinhaufen und Trockenmauern anlegen. Offene Bodenstellen belassen. Wilde Ecken tolerieren.
Im Wald: Totholz stehen und liegen lassen. Alte Bäume schützen. Lichte Waldstrukturen erhalten.
Allgemein: Naturschutzgebiete ausweiten. Lichtverschmutzung reduzieren.
Bemerkenswerte Fakten
Käfer gibt es seit über 300 Millionen Jahren – sie haben die Dinosaurier kommen und gehen sehen. Der kleinste Käfer der Welt misst nur 0,25 Millimeter, der größte – der Titan-Bockkäfer – wird über 16 Zentimeter lang.
Ein Maikäfer kann in einer Nacht 20 Blätter kahl fressen. Die Hirschkäferlarve verbringt bis zu acht Jahre im Erdreich, der fertige Käfer lebt nur wenige Wochen.
Käfer haben fast jeden Lebensraum erobert – vom Meeresstand bis ins Hochgebirge, von Wüsten bis zu Regenwäldern. Nur das offene Meer haben sie nicht besiedelt. Sie machen etwa ein Viertel aller beschriebenen Tierarten aus.
Beobachten und Bestimmen
Wo suchen? Bei Totholzhaufen und alten Bäumen – unter der Rinde schauen. Auf blühenden Wiesen. Unter Steinen (vorsichtig sein, Stein wieder zurücklegen). An Gewässerufern. Nachts an beleuchteten Hauswänden.
Wann? Von Frühjahr bis Herbst, je nach Art. Warme, sonnige Tage sind ideal. Nachts mit der Taschenlampe kann besonders spannend sein.
Was mitnehmen? Eine Lupe oder Becherlupe. Ein Bestimmungsbuch oder App. Eine Kamera mit Makrofunktion.
Die Bestimmung ist oft schwierig – viele Arten sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Aber genau das macht es interessant.
Käfer verdienen Aufmerksamkeit. In ihrer Vielfalt zeigt sich die ganze Kreativität der Evolution. Eine Welt ohne Käfer wäre ärmer – an Farben, an Funktionen, an Leben. Diese oft übersehenen Wesen halten unsere Ökosysteme am Laufen.
Quellen
Freude, H., Harde, K. W., Lohse, G. A. & Klausnitzer, B. (Hrsg.): Die Käfer Mitteleuropas. Spektrum Akademischer Verlag.
Harde, K. W. & Severa, F.: Der Kosmos-Käferführer. Franckh-Kosmos Verlag.
Klausnitzer, B.: Die Larven der Käfer Mitteleuropas. Spektrum Akademischer Verlag.
Grimaldi, D. & Engel, M. S.: Evolution of the Insects. Cambridge University Press.
Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands. Bundesamt für Naturschutz.
Seibold, S. et al. (2019): “Arthropod decline in grasslands and forests”. Nature 574, S. 671-674.
Dacke, M. et al. (2013): “Dung beetles use the Milky Way for orientation”. Current Biology 23(4), S. 298-300.
Dean, J. et al. (1990): “Defensive spray of the bombardier beetle”. Science 248, S. 1219-1221.
